Zunächst haben wir Anna Leder zu danken, Lebensgefährtin von Peter Haumer, seines Zeichens Autor des vorliegenden Buches. Anscheinend ist es ihrer Weitsicht zu verdanken, dass Haumer sich nicht von der vermeintlichen Trostlosigkeit der Schriftstellerei überwältigen und zum Abbruch eines grandiosen Projekts hinreißen ließ. Haumers Geschichte der F.R.S.I., genauer: der Föderation Revolutionärer Sozialisten „Internationale“, ist in jeder Hinsicht ein Volltreffer.
Zunächst wäre da das Thema selbst: Für alle an einer Überwindung des kapitalistischen Grauens interessierte Menschen fallen Weihnachten und Geburtstag zusammen (ja, es ist eine Metapher), wenn jemand ein verschüttetes Kapitel revolutionärer Geschichte ausgräbt und der Öffentlichkeit zugänglich macht.
Dann die Ausführung: Haumer meistert den Balanceakt zwischen dem Vermitteln von Fakten und dem Erzählen von Anekdoten bravourös. Dies ist für den Erfolg eines Publikationsprojekts dieser Art wesentlich.
Schließlich der Ton: Haumer meint, dass Geschichte „nicht sein Handwerk“ wäre. Er suggeriert damit wohl, kein Akademiker zu sein. Was für ein Glück! Denn somit bleibt uns eitles Geschwätz erspart und wir können uns auf das Wesentliche konzentrieren, nämlich: die Aktivitäten einer verwegenen Gruppe von „RätekommunistInnen, Linksradikalen, SyndikalistInnen und AnarchistInnen“, die sich in den turbulenten Monaten nach Ende des post-kaiserlichen Österreichs 1919 organisierten, um die Revolution voranzutreiben, bevor sie sich, teils desillusioniert, teils verwirrt und teils von den Ereignissen überrollt, der Kommunistischen Partei anschlossen. Dabei, so betont Haumer immer wieder, war die FRSI lange die stärkere revolutionäre Kraft als die am 3. November 1918 voreilig gegründete KPDÖ. Erst als russische Kader intervenierten, die Partei umstrukturierten und, nicht zuletzt, gegen andere Linke intrigierten, konnten sich die Parteikommunisten als stärkste Kraft links von der Sozialdemokratie behaupten.
Haumers Buch klärt uns nicht nur über die FRSI auf. Wir erfahren Wissenswertes über alles Mögliche: die österreichische Sozialdemokratie; die Streiks der Nachkriegszeit; den auch in der Linken weit verbreiteten Antisemitismus; das anarchistische Milieu; die kommunistischen Putschversuche. Das Buch wirft zudem ein Licht auf Zusammenhänge von weltpolitischer Bedeutung: die Verschiebung des Zentrums revolutionärer kommunistischer Tätigkeit gen Osten; die Idee einer „Donauföderation“ von Sowjets, die den deutschen Nationalismus hätte eindämmen können; die Bedeutung, die einer österreichischen Räterepublik Anfang 1919 angesichts der Räterepubliken in Bayern und Ungarn zugekommen wäre; die Gründung der Komintern. In einem „Ausklang“ werden die Lebensschicksale einzelner Mitglieder der FRSI skizziert. Diese sind, erwartungsgemäß, sehr bewegend.
Auf diesem Blog wird niemand aufgefordert, ein Buch zu kaufen. Aber wenn ihr das selbst nicht tun wollt, dann bittet eure Lieblingsbibliothek darum. Danach: leiht es euch aus und zwar unmittelbar. Mit einem zaghaften „es lohnt sich“ halte ich mich hier nicht auf. Lieber gebe ich den Moralisten: Wer sich auch nur irgendwie revolutionärer Politik verbunden – oder gar verpflichtet – fühlt, muss dieses Buch lesen. Ausreden gelten nicht.
gk
(April 2018)
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